Seine Königliche Hoheit
Dr. Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen

Die Beziehungen zwischen Sachsen und Schlesien

Auszüge aus einem Vortrag
gehalten am 10. September 2007 in Breslau



Unsere Tagung in Breslau eignet sich besonders dafür, sich mit den Beziehungen der beiden Nachbarländer Sachsen und Schlesien aus der Sicht der Geschichte zu befassen. Da sich die geschichtliche Darstellung in einem kurzen Beitrag nicht oder nur unzulänglich vortragen läßt, wollen wir einige Beispiele herausgreifen:

1. Schon in der Vorgeschichte lassen sich erste Ansätze für eine Verbindung beider Regionen feststellen. Es sei nur an die "Lausitzer Kultur" erinnert, die nicht nur die Ober- und Niederlausitz erfaßte, sondern sich zusätzlich auf Schlesien auswirkte. Bei dieser Gelegenheit ist auch die nach dem österreichischen Hallstatt im Salzkammergut benannte Epoche anzuführen, die um 700 v. Chr. Sachsen und Schlesien erfaßte.

2. Für unsere weiteren Ausführungen sind ferner die Sorben/Wenden von Bedeutung. Sie besiedelten ab 600 das heutige Mitteldeutschland und bildeten dort die Mehrheit der Bevölkerung. Noch heute leben Angehörige dieser Volksgruppe als Minderheit in der Mark Brandenburg und in Ostsachsen. Ihre Aufgabe in der Gegenwart besteht darin, ein Bindeglied zu Polen sowie zu Böhmen und Mähren darzustellen.

3. Gefördert wurden diese Beziehungen im Mittelalter durch die Persönlichkeit der Heiligen Hedwig, die um 1174 als Tochter von Graf Berthold IV. von Andechs in Oberbayern geboren und 1186 auf der gleichnamigen Burg mit Herzog Heinrich IV. von Schlesien verheiratet wurde. Diesem schenkte sie sieben Kinder, darunter eine Tochter mit Namen Gertrud, die zunächst mit Herzog Otto von Wittelsbach bis zu dessen frühen Tode 1209 verlobt war. Otto erlangte als Stammvater der bayerischen Wittelsbacher weit über die Grenzen Bayerns hinaus Berühmtheit. Nach dem Tode Ottos trat Gertrud 1212 in das ebenfalls weit über Schlesien hinaus bekannte Kloster Trebnitz ein, das sie gemeinsam mit Otto begründet hatte. Damit konnte das erste Frauenkloster Schlesiens ins Leben gerufen werden. Das Mutterkloster dieser Gemeinschaft war der Zisterzienserinnenkonvent St. Theodor im oberfränkischen Bamberg, meinem Geburtsort.

4. Für unseren Zusammenhang erscheint noch bedeutsam, daß die Heilige Hedwig die Tante der Heiligen Elisabeth von Thüringen war. Elisabeth stellt damit eine enge Verbindung zur Wartburg bei Eisenach im westlichen Thüringen dar. Sie zählt zu den Ahnen der sächsischen Wettiner, wie dem Deckengemälde "Sachsens Glorie" in der Schloßkapelle von Wachwitz bei Dresden - meinem Elternhaus - zu entnehmen ist. Gegenwärtig ist der Heiligen Elisabeth eine beachtliche Landesausstellung auf der Wartburg und in Eisenach gewidmet. Interessant ist, daß diese von den Ländern Hessen und Thüringen gemeinsam gestaltet wurde.

5. Unter der Regierung Kaiser Ludwig des Bayern (1314-1347) wurden die Beziehungen unserer beiden Länder weiter vertieft. So kam es beispielsweise 1347 im Zuge der Erwerbung Tirols und den Auseinandersetzungen zwischen den Luxemburgern und Wittelsbachern zu einem Bündnissystem, bei dem unter anderem neben Ludwig als Initiator König Kasimir III. von Polen, der schlesische Herzog von Schweidnitz und der sächsisch-wettinische Markgraf von Meißen beteiligt waren. Das Kriegführen überließ Ludwig allerdings dem König Kasimir III. von Polen.

6. Weit über die Grenzen Sachsens und Polens hinaus besaß die sächsische Landesuniversität Leipzig erhebliche Bedeutung. Ihre Gründung erfolgte im Jahre 1409 durch aus Prag abwandernde Professoren und Studenten. Einer ihrer Anführer war der aus dem schlesischen Schweidnitz stammende Dozent Dr. Johannes Hofmann, der zwei Jahre vor dem Wegzug Rektor der berühmten Prager Universität war.

7. Auch die wirtschaftlichen - besonders handels- und verkehrspolitischen Bindungen erlebten im späten Mittelalter eine große Blütezeit. Maßgebliche Bedeutung hatte die "Hohe Landstraße". An dieser wichtigen Ost-West-Verbindung lagen auch die schlesischen Handelsmetropolen Liegnitz und Breslau, die besonders mit dem sächsischen Wirtschaftszentrum Leipzig in enger Beziehung standen. Bezeichnend erscheint, daß über Leipzig und die schlesischen Städte Liegnitz und Breslau Kaufleute aus den süddeutschen Handelsstädten Augsburg und Nürnberg ihre Produkte vertrieben - vor allem Leinwand. Beispielgebend erwies sich auch das in Breslau beheimatete Handelshaus Viatis & Peller das als Auftraggeber für schlesische Leineweberzünfte erhebliche wirtschaftliche Bedeutung besaß. In diesem Zusammenhang ist ferner das ursprünglich aus Nürnberg stammende Handelshaus Heugel zu erwähnen. Dessen wirtschaftliche Tätigkeit erstreckte sich hauptsächlich auf die Handelsstädte Leipzig und Breslau.

8. Enge wirtschaftliche Kontakte bestanden überdies auf dem Sektor des Bergbaues, wo beispielsweise 1370 am Silberberg im Eulengebirge Bergleute aus der Markgrafschaft Meißen nach Silber gruben und damit entscheidend zur Erschließung dieses Reviers beitrugen. Auch die aus Süddeutschland zugewanderten Kaufleute waren an bergmännischen Unternehmungen unmittelbar beteiligt. So wirkten in Breslau die Nürnberg-Leipziger Kaufleute Hieronymus Scheurl oder Scherl und Markus Kurn. Wiederum in Breslau bestand -ähnlich wie in Leipzig - eine Faktorei des Augsburger und Nürnberger Handelshauses der Fugger. Dieses erwies sich für den Handel mit Bergbauprodukten als bedeutungsvoll.

9. Bezeichnend ist, daß der 1507 in Schlesien geborene Bergbauunternehmer Christoph Uttmann durch seine Heirat mit Barbara Elterlein nach Annaberg im Erzgebirge einwanderte und dort gemeinsam mit seiner Frau neben dem Bergbau maßgeblich zur Einführung des Klöppelns und damit der Spitzenkunst beitrug. Auf diese Weise wurde ein wichtiger Zweig der Textilwirtschaft im Erzgebirge und Vogtland beheimatet, der auf Grund der rückläufigen Tendenz des Bergbaues neue zusätzliche Arbeitsplätze schaffen konnte.

10. Die schlesische Handelsmetropole Liegnitz besaß auch für die Politik des Mittelalters erheblichen Stellenwert, wurde doch auf der Wahlstatt in unmittelbarer Nähe dieser Stadt die Schlacht gegen die Mongolen geschlagen, wobei Herzog Heinrich II. von Schlesien den Tod fand. Obwohl diese Schlacht mit einer Niederlage des aus Polen und Sachsen zusammengesetzten Ritterheeres endete, bedeutete sie für das christliche Abendland die Abwendung der sogenannten "gelben Gefahr".

11. Im Dreißigjährigen Krieg erwies sich für Schlesien und Sachsen die Persönlichkeit des aus der Mark Brandenburg kommenden Feldherrn Hans Georg von Arnim-Boitzenburg von Bedeutung. Er war es, der Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen 1631 zu einem Bündnis mit Schweden überredete; dieses brachte für Sachsen als protestantisches Land erhebliche Folgen mit sich. Seine Idee bestand zunächst vor allem darin, eine "friedliebende Partei" in Deutschland unter Führung der evangelischen Kurfürsten zu bilden. Das Ziel war es offenbar, dieses Fürstenbündnis zur Erhaltung der Selbständigkeit der evangelischen Territorien gegenüber Kaiser und Reich zu begründen.

12. Im Friedensvertrag von Prag 1635 erhielt Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen auf Grund seines Bündniswechsels auf die Seite der Habsburger die Ober- und Niederlausitz, wodurch sich der östliche Charakter des sächsisch-wettinischen Gesamtstaates erheblich verstärkte. Das erwies sich als wichtige politische Voraussetzung für die unter August dem Starken befolgte Zusammenarbeit mit dem Königreich Polen von 1697 bis 1763. Damit war auch das Bündnis mit Österreich besiegelt, wobei diese engen Kontakte Sachsens zur Donau-Monarchie für die Beziehungen zu Ost-Mitteleuropa und vor allem zu Polen als grundlegender Beitrag einer europäisch orientierten Ostpolitik angesehen werden sollten.

13. Für die Beziehungen zwischen Sachsen und Schlesien besitzt auch die Musik große Bedeutung. Namentlich wollen wir besonders Christoph Pezel (1639-1694) aus Glatz, Sylvius Weiß aus Breslau und Carl Maria von Weber anführen. Letzterer war zwar kein Schlesier, wirkte aber mehrere Jahre seines Lebens in Schloß Carlsruhe bei Brieg in Schlesien.

14. Hinweisen wollen wir aber auch auf die bedeutsame schlesische Barockabtei Grüssau, die zwar ihre Errichtung der bayerisch fränkischen Architektenfamilie Dientzenhofer verdankte, aber wesentliche Anregungen für den weltberühmten Zwinger in Dresden vermittelte.

15. Schließlich ist noch anzuführen, daß 1884 Herrschaft und Schloß Sibyllenort bei Breslau durch Erbschaft auf Grund des Testaments des Herzogs Wilhelm von Braunschweig-Oels an König Albert von Sachsen (1828/1873-1902) fielen. Gemeinsam weilten dieser wettinische Herrscher und seine Gemahlin Carola von Wasa (letzte Nachkommin des schwedischen Königs Adolph) wiederholt in Schloß Sibyllenort und unterhielten enge Kontakte zu benachbarten Gutsbesitzern und wichtigen Persönlichkeiten aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Leben. Besonders eng waren die Bindungen zur Universität Breslau, vor allem zur Zeit des Königs Friedrich August III. (1865/1904-1918/1932), der wöchentlich angesehene Dozenten aus verschiedenen Wissensgebieten zu Vorträgen nach Sibyllenort einlud. Von 1918 bis 1932 lebte Friedrich August III. nach seiner Abdankung im November 1918 fast ganz in Sibyllenort und führte dort das Leben eines Landedelmannes. Sibyllenort war aber auch seit 1918 der Mittelpunkt des wettinischen Familienlebens. Dort heirateten seine Töchter Margarethe Maria Alix und Anna Pia Monika. Hier fand auch die Primiz seines ältesten Sohnes Kronprinz Georg statt, dessen Weihe zum Priester durch den Meißner Diözesanbischof Schreiber im nahen Trebnitz vollzogen wurde. Friedrich August III. von Sachsen verstarb am 18. Februar 1932 in Schloß Sibyllenort. Dessen Leichnam wurde nach Dresden überführt, worauf am 23. Februar 1932 die feierliche Beisetzung in der Gruft der Wettiner unterhalb der katholischen Hofkirche zu Dresden vollzogen werden konnte. Dabei waren über 700.000 Trauergäste aus dem In- und Ausland anwesend. Auch mein Vater, Prinz Friedrich Christian von Sachsen (1893-1968), führte diese Traditionen in Sibyllenort bis fast zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 weiter. Ich selbst kann mich noch genau daran erinnern, daß sich meine Eltern mit uns fünf Geschwistern 1942 aus Anlaß des Weihnachtsfestes und des Jahreswechsels zu einem Winteraufenthalt im Barockschlösschen Peuke bei Sibyllenort aufhielten. Als Folge des Kriegsendes 1945 wurden Schloß Sibyllenort und die gleichnamige Herrschaft unter polnische Verwaltung gestellt. Dadurch verlor das Haus Wettin-Albertinische Linie diesen bedeutsamen Besitz. Doch nahmen wir nach der Wende 1990 wiederum durch mehrfache Besuche Kontakte auf. Leider wurde das Schloß 1945 ff. bis auf wenige Ausnahmen zerstört. Sinnvoll wäre es daher, wenn zur Erinnerung an die wettinische Zeit von 1884 bis 1945 eine sächsisch-polnische Stiftung ins Leben gerufen werden könnte, um in dem noch erhalten gebliebenen Rest des Schlosses eine wettinische Gedenkstätte zu errichten. Auch der völlig verwilderte Park sollte in diese Gedenkstätte mit einbezogen werden. Dieses schöne Ziel sollten wir gemeinsam als Sachsen und Polen verwirklichen. Ich wünsche den beiderseitigen Beziehungen im europäischen Sinne eine gute und erfolgversprechende Zukunft.

16. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß der schlesische Dichter Gerhard Hauptmann (1862-1946), der aus Bad Salzbrunn stammte und 1946 in Agnetendorf starb, 1945 in Dresden weilte und dort unmittelbar Zeuge des furchtbaren Bombenangriffes wurde. Damals entstanden die ergreifenden Zeilen auf den Tod dieser sächsischen Barockstadt an der Elbe, die wir nun wiedergeben wollen:

"Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens. Dieser heitere Morgenstern der Jugend hat bisher der Welt geleuchtet.- Ich weiß, daß in England und Amerika gute Geister genug vorhanden sind, denen das göttliche Licht, der Sixtinischen Madonna nicht fremd war und die von dem Erlöschen dieses Sternes alltiefst schmerzlich getroffen weinen. Ich habe den Untergang Dresdens persönlich erlebt. Wenn ich das Wort 'erlebt' einfüge, so ist das mir jetzt noch wie ein Wunder. Ich nehme mich nicht wichtig genug, um zu glauben, das Fatum habe mir das Entsetzen gerade an dieser Stelle in dem fast liebsten Teil meiner Welt ausdrücklich vorbehalten. Ich stehe am Ausgangstor des Lebens und beneide alle meine toten Geisteskameraden, denen dieses Erlebnis erspart geblieben ist. Ich weine.- Man stoße sich nicht an das Wort 'weinen': Die größten Helden des Altertums, darunter Perikles und andere, haben sich seiner nicht geschämt. Von Dresden aus, von seiner Kunstpflege in Musik und Wort sind herrliche Ströme durch die Welt geflossen, und auch England und Amerika haben davon durstig getrunken. Haben sie das vergessen? Ich bin nahezu 83 Jahre alt und stehe mit einem Vermächtnis vor Gott, das leider machtlos ist und nur aus dem Herzen kommt Es ist die Bitte, Gott möge die Menschen mehr lieben, läutern und klären zu ihrem Heil als bisher.
Im Februar 1945
Gerhard Hauptmann"

Diesem Zitat von Gerhard Hauptmann ist nichts hinzuzufügen. Unsere Augabe besteht darin, die historischen Verbindungen zwischen Sachsen und Schlesien in die europäische Einigung mit einzubeziehen, ist doch die Zukunft unseres Kontinents eine wichtige Aufgabe für uns alle im 21. Jahrhundert.

Dr. Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen
München-Breslau, den 10.9.2007

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