Verliebt, verlobt, verheiratet

Zwei innige Verwandte: Was die Sachsen und die Bayern seit Jahrhunderten verbindet

Von Heinrich Löbbers



 
 

 

Winnetou kommt mit 92 Pferdestärken. Auf einem Motorrad fährt er in der Dresdner BMW-Niederlassung vor, grüßt die Vertreter des Hauses Wettin. Ein junges Trio spielt dazu Musik von Carl Maria von Weber. Später trinkt man dann einen Schoppen Wein vom Schloss Proschwitz.

Und siehe da, die sächsisch-bayerische Verbundenheit ist perfekt. Nämlich: Der Sachse Karl May schrieb außer Winnetou auch Romane, die in Oberbayern spielen, er hatte guten Kontakt zur bayerischen Königsfamilie, und es war der Bamberger Euchar Schmidt, der als Verleger für den Weltruhm Mays sorgte. - Die Bayerischen Motoren Werke indes sind fest mit München verbunden. Aber, auch Leipzig ist jetzt BMW-Standort. "Sachsen im Bayernrausch", titelte eine Zeitung, als bekannt wurde, dass dort ab 2005 die 3er Reihe gebaut wird. - Das sächsische Herrscherhaus Wettin wiederum ist seit vielen hundert Jahren eng mit den bayerischen Wittelsbachern verbunden. Man verliebte, verlobte, verheiratete sich gegenseitig, zog gemeinsam in Kriege, gestaltete gemeinsam die europäische Politik. - Der Komponist Carl Maria von Weber seinerseits hatte schon einige Erfolge in München gehabt, ehe er Hofkapellmeister zu Dresden wurde. Und der Wein vom ältesten noch existierenden sächsischen Weingut Proschwitz bei Meißen stammt vom Winzer Georg Prinz zur Lippe. Der Unternehmensberater kam nach der Wende aus München zurück nach Sachsen, wo seine Familie seit dem 18. Jahrhundert gelebt hatte.

Es gibt unzählige solcher Verbindungen zwischen Sachsen und Bayern, den selbstbewussten Freistaaten, den beiden Regionen mit dem auffälligstem Dialekt, den beiden Völkchen mit dem stärkstes Stammesbewusstsein. "Auf die Bayern ist immer Verlass", sagt Erich Iltgen, Sachsens Landtagspräsident. "Auf die Sachsen auch", antwortet sein bayerischer Kollege Alois Glück.

Winnetou und die Landtagspräsidenten

Zwischen die beiden Herren setzte sich am Dienstag eben jener motorisierte Winnetou. Dort im bajuwarischen Autohaus wurde das Buch "Bayern & Sachsen" vorgestellt, ein dicker, reich bebilderter Band über die innigen Beziehungen der beiden Länder über die Jahrhunderte. Über zwei Verwandte, die sich näher sind als mancher meinen mag, historisch, kulturell, politisch und wirtschaftlich. Verfasst haben es zwei baju-saxonische Autoren: der Jurist Walter Beck vom Tegernsee, der seit 1990 auch in Dresden tätig ist, und Albert Prinz von Sachsen, Herzog zu Sachsen, der nach der Wende nach Sachsen zurück kam und heute in Dresden und München lebt. Auch im "Exil in Bayern", sagt der Enkel des letzten sächsischen Königs, habe er die sächsisch-bayerischen Bünde lebendig gehalten.

Und die gibt es in der Tat zuhauf, wohin man auch schaut. Am Odeonsplatz in München zum Beispiel. Oben an der berühmten Theatinerkirche prangt das Allianzwappen der Hochzeit von 1747 zwischen Max III. Joseph und Maria Anna aus Sachsen. Im 18. und 19. Jahrhundert haben über 130 Jahre hinweg stets Wittelsbacherinnen als Prinzessin, Fürstin und Königin in Sachsen gewirkt. Von den Bayern und den Sachsen heißt es, sie seien gemeinsam in Kriege gezogen, auf der gleichen, aber regelmäßig auf der falschen Seite. Ein weitverbreiteter Irrtum, sagen die Autoren des Buches. Oft seien sie gemeinsam erfolgreich gewesen. Gemeinsam waren sie auch ab 1806 zunächst auf der Seite Napoleons. Doch dann gingen sie getrennte Wege - und Sachsen musste dafür büßen. Bayern löste sich vor der Leipziger Völkerschlacht aus dem Bündnis und war auf dem Wiener Kongress 1815 unter den Siegern. Sachsen blieb bis zum bitteren Ende und verlor 60 Prozent seines Staatsgebietes.

Von den Bayern lernen, um Siegen zu lernen? Fast 200 Jahre später sagt Ministerpräsident Georg Milbradt vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU in München: "Bayern war für Sachsen ein Vorbild." Der Wiederaufbau nach der Wende geschieht ganz wesentlich mit bayerischer Hilfe - mit viel Geld, privatem Engagement, mit entsendeten Beamten und mit Anlehnung an bayerische Strukturen. Mehrere tausend bayerische "Verwaltungshilfen" kamen nach 1990 nach Sachsen. Dass es nicht immer "ganz einfach war, wirklich qualifizierte Beamte für den Dienst in den neuen Ländern zu finden", auch das ist dem Buch zu entnehmen. Ob Bauindustrieverband, Landesärztekammer oder Tüv - überall gab es bayerischen Einfluss.

Auch das Oktoberfest hat sächsischen Ursprung

Parteipolitisch haperte es allerdings. Kennt noch einer Roberto Rink? Der damals 33-jährige Sachse ließ Mitte der 90er den Traum der CSU von der "Filiale Ost" (Edmund Stoiber) endgültig platzen. Weil der rechtslastige Vorsitzende der DSU mit den Republikanern anbandelte, ließen die Bayern die Ostpartei fallen. Heute regieren in Dresden und München die beiden konservativen Landesregierungen mit den komfortabelsten Mehrheiten in Deutschland. Nun sage aber keiner, die Bayern hätten die Sachsen stets vereinnahmt. Es war Geben und Nehmen. Wer heute durch München geht, trifft nicht nur überall sächsische Kellnerinnen oder U-Bahn-Fahrer, die die Arbeitssuche nach Bayern verschlagen hat. Die Stadt München zum Beispiel sähe heute ganzanders aus ohne Max Littmann. Der Chemnitzer Architekt plante und baute dort viele Gebäude, etwa das Prinzregententheater (1901) oder das Hofbräuhaus. Die Sachsen und die Bayern sind ja schließlich die standfestesten Biertrinker. Genauso verdankt München sein weltberühmtes Oktoberfest auf der Theresienwiese einer sächsischen Prinzessin. Es geht zurück auf die Hochzeitsfeier des Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen.

Andererseits Dresden: Was wäre es ohne den Stadtbaumeister Erlwein, geboren in Bad Reichenhall. Ohne Gottfried Semper, der Oberbaurat in München war. Ohne den bayerischen Barockbildhauer Permoser. Oder Meißen: Als Heiligen verehren sie dort den 1106 verstorbenen Bischof Benno, in Bayern ist er Landespatron. Oder Zittau: Von dort stammt die Mutter des angeblichen Urbayern Karl Valentin.

Wie soll man aufhören, ohne Horch und Audi zu nennen, den Bäcker Kreutzkamm, der von Dresden nach München und zurück kam, Infineon oder den früheren VEB Stema Großenhain, den der Münchner Investor Schieferdecker zum heutigen Marktführer im Anhängerbau machte. Oder den Görlitzer Michael Ballack beim FC Bayern.

Aber vom Sport, schade eigentlich, ist im Buch gar keine Rede.

Prinz Albert Herzog zu Sachsen / Walter Beck: Bayern & Sachsen, Universitas-Verlag München, 416 Seiten, 48 Euro

 

Dieser Beitrag erschien in der SÄCHSISCHEN ZEITUNG vom 8. Juli 2004. Die Veröffentlichung auf diesen Seiten erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

 

 
 

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