6. Juli 2004:

Rede des Präsidenten des Sächsischen Landtags,
Erich Iltgen, zur Präsentation des Buches
Bayern & Sachsen in Dresden



 
 

Sehr verehrter Herr Landtagspräsident Glück,
sehr geehrter Herr Prinz Albert - Herzog zu Sachsen,
sehr geehrter Herr Professor Beck,
sehr geehrter Herr Schraub,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich freue mich, Ihnen heute mit dem Band "Bayern und Sachsen" ein Buch vorstellen und empfehlen zu können und dessen Gelingen mich mit besonderer Freude erfüllt.

Die anwesenden Autoren sind vielen von Ihnen bekannt, denn sie fühlen sich nach Herkunft oder Berufung sowohl mit Bayern als auch mit Sachsen aufs Engste verbunden und haben sich in beiden deutschen Ländern längst Verdienste erworben.

Dr. Albert Prinz von Sachsen wurde als Enkel des letzten sächsischen Königs in Bamberg geboren. Er gründet seinen Ruf als Historiker vor allem auf mehrere Bücher über seine Familie, das sächsische Königshaus der Wettiner, und auf eine Vielzahl von Einzelbeiträgen zum Thema Bayern und Sachsen.

Der Jurist und gebürtige Bayer Prof. Dr. Walter Beck ist seit 1990 sehr stark in Sachsen engagiert, wo ihn seine positiven Erfahrungen in der beruflichen Zusammenarbeit dazu motiviert haben, sich intensiv mit der Vergangenheit beider Freistaaten zu beschäftigen.

Jetzt haben sie im Universitas-Verlag München ein Buch veröffentlicht, das die vielfältigen Gemeinsamkeiten und Bezüge zwischen Bayern und Sachsen in Geschichte, Kunst, Kultur und Wirtschaft inhaltlich einprägsam und optisch beeindruckend zum Ausdruck bringt.

Auf mehr als 400 reich illustrierten Seiten wird ein ganzes Millennium in den Blick genommen und vor unseren Augen ein Panorama enthüllt, in dem die fundamentalen und noch auf die Gegenwart wirkenden Parallelen in der Zeit vom 15. bis zum 20. Jahrhundert zu suchen sind.

Inhaltlich reicht dieser weitgefasste Bogen von der Vorgeschichte im Mittelalter über die persönlichen und politischen Verbindungen der Dynastien der Wittelsbacher und Wettiner, die etwa 800 Jahre lang regiert haben, bis in die unmittelbare Gegenwart, wobei der wirtschaftliche Faktor eine zukunftswichtige Bedeutung erlangt hat. Zu allen Zeiten aber fiel den Begegnungen in Literatur und Musik, Kunst und Architektur eine zentrale und schöpferisch verbindende Rolle zu, denen daher mit Recht der ihnen gebührende Raum gewidmet wird.

Der bayerische Barockbildhauer Balthasar Permoser unter August dem Starken, der Maler Julius Schnorr von Carolsfeld, die Musiker Carl Maria von Weber, Richard Wagner und Richard Strauss oder der Schriftsteller Erich Kästner haben die Kunst- und Kulturlandschaften beider Staaten miteinander verbunden und nachhaltig geprägt.

In der Architektur möchte ich neben Gottfried Semper beispielgebend den Bayern Hans Erlwein hervorheben, der in Dresden ein bleibendes Erbe hinterlassen hat, dessen Erhaltung uns heute vor neue Herausforderungen stellt.

Für mich persönlich und in meinem Amt als Landtagspräsident ist ein besonderes politisches Vermächtnis, das in diesem Buch gewürdigt und weitergegeben wird, von ganz herausragendem Wert:

Die Autoren weisen mehrfach darauf hin, dass in Sachsen und Bayern die staatlichen und geistigen Fundamente für das heutige föderale Deutschland gelegt worden sind.

Als Wegbereiter des Föderalismus traten die beiden Länder insbesondere in der Regierungszeit von König Johann und König Max II. hervor, denen es darum ging, die Eigenständigkeit gegenüber der preußischen Vormachtstellung zu behaupten und damit zentralistischen Tendenzen entgegenzuwirken.

Die zwischen Preußen und Österreich stehenden deutschen Mittelmächte strebten praktisch ein föderal strukturiertes "drittes Deutschland" an, das für den Freistaat Bayern dann erst auf dem Boden des Grundgesetzes von 1949 und für Sachsen nach der friedlichen Revolution von 1989/90 verwirklicht wurde.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob den Deutschen ein "Drittes Reich" erspart geblieben wäre, wenn sich die Länder damals gegen Preußen und die Gründung des Deutschen Reiches behauptet hätten.

Zweifellos aber bleibt, dass wesentliche Wurzeln unseres demokratischen Rechtsstaates in den konstitutionellen und föderalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts zu finden sind und wir auch innerhalb von Herrscherhäusern Spuren unseres eigenen Demokratieverständnisses begegnen können.

Wir fühlen uns angesprochen von den Leistungen unserer Vorfahren und aufgefordert zur Fortsetzung eines Gesprächs, das von Generation zu Generation weitergeführt wird und nicht allein auf eine gemeinsame Vergangenheit, sondern vielmehr noch auf eine gemeinsame Zukunft gerichtet ist.

Spätestens seit der Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen teilen wir die Erfahrung, dass Bayern und Sachsen jene beiden Bundesländer sind, in denen die Identifikation der Menschen mit der territorialen und damit historischen Entwicklung in unverkennbarer Weise ausgeprägt ist.

Aus gegebenem Anlass möchte ich hier an dieser Stelle etwas näher auf unsere gemeinsame jüngste Vergangenheit eingehen, die das Werden unseres Landes wesentlich beeinflusst hat:

Am 14. November 1989 plädierte der Bayerische Ministerpräsident Streibl in München für die Wiederherstellung der alten Länder auf dem Boden der DDR und schlug eine Partnerschaft zwischen dem Freistaat Bayern und den angrenzenden sächsischen und thüringischen Bezirken vor.

Noch am selben Tag setzte die Bayerische Staatsregierung einen Staatssekretärsausschuss unter Leitung des Chefs der Staatskanzlei und späteren Landtagspräsidenten, Wilhelm Vorndran, mit dem Ziel ein "im Rahmen der Zuständigkeiten und Möglichkeiten den politischen und wirtschaftlichen Neubeginn auf freiheitlicher, marktwirtschaftlicher Grundlage zu unterstützen.

In der Staatsregierung war man sich von Beginn an einig, dass "Kontakte und Verbindungen nicht nur zur den Amtsträgern aufgenommen werden, die durchweg alle noch SED-Mitglieder sind, sondern auch mit der Opposition". Als Ansprechpartner sah man vorrangig die neuen Oppositionsgruppen und die beiden Kirchen an.

Am 24. Januar veranstaltete das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr in Fürth eine Strukturkonferenz für Unternehmen aus Bayern und der DDR mit mehr als 500 Teilnehmern. Der Chef der Staatskanzlei Vorndran teilte mit, dass sich die Staatsregierung bemühe, mit den an Bayern grenzenden Bezirken Regionalausschüsse als Vorstufen für Partnerschaften mit den künftigen Ländern Sachsen und Thüringen einzurichten.

Für Ende Januar kündigte Streibl einen Besuch in Dresden an, zu dem er die Vorsitzenden der drei Räte der Bezirke samt Wirtschaftsvertretern einlud. Erklärtes Ziel seiner Visite mit hochrangigen Vertretern der bayerischen Wirtschaft war es, "partnerschaftliche Beziehungen zwischen Sachsen und Bayern" aufzubauen und "Bestrebungen zur Wiedererrichtung des Landes Sachsen nach Kräften zu unterstützen."

Einen Tag vor dem Flug nach Dresden informierte Vorndran in seiner Funktion als Vorsitzender des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen im Ministerrat über die bisherigen Aktivitäten. Derartig gerüstet machte sich Streibl auf den Weg von der Isar an die Elbe.

Es war ein von den Alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges eingeräumtes Zugeständnis und Novum, dass beim Besuch seiner Delegation, zu der neben den bayerischen Staatsministern für Wirtschaft und Verkehr, August R. Lang, und für Bundes- und Europaangelegenheiten, Georg von Waldenfels, Vertreter der Industrie, Banken und Handelskammern auch der in München lebende Enkel des letzten sächsischen Königs, Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen, gehörte, erstmals eine Maschine der Lufthansa direkt über die innerdeutsche Grenze nach Dresden fliegen konnte. Hier informierte Streibl am 31. Januar über die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft für die Organisation westlicher Hilfen beim Aufbau neuer Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen in den Bezirken Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt.

In Dresden warb Streibl erneut für den Aufbau föderaler Strukturen und erklärte, er sei "der festen Überzeugung, dass auf diesem Wege ein Gesamtdeutschland für unsere Nachbarn viel leichter verkraftbar ist, als ein zentral gelenktes Reich". Die Länder in der DDR sollten sich so schnell wie möglich konstituieren und dann einzeln oder im Verbund nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik beitreten. Dieser Weg sei der kürzeste und bereits im Herbst 1990 vollziehbar.

Gegenüber den offiziellen Vertretern der DDR eher zurückhaltend, bedeutete dies freilich keine Zurückhaltung bei Hilfsleistungen. So richtete der bayerische Arbeits- und Sozialminister, Gebhard Glück, nach einem Fachgespräch mit über hundert DDR-Ärzten am 10. Februar in seinem Ministerium eine Informations- und Koordinierungsstelle für medizinische Hilfe ein. Sie sollte vor allem Partnerschaften zwischen verschiedenen Bereichen der Krankenversorgung und Sachspenden vermitteln, Fortbildungen organisieren und die Zusammenarbeit mit den für das Gesundheitswesen zuständigen Körperschaften, Verbänden und der Wirtschaft fördern.

Außerdem beteiligte sich Bayern beim Aufbau der technischen Ausstattung der Landesärztekammern für Sachsen und Thüringen und engagierte sich beim Aufbau einer neuen sächsischen Polizeiorganisation nach bayerischem Vorbild. Auch der Kontakt zu den neuen politischen Kräften wurde aufrechterhalten.

Klar war, dass die Landesmaßnahmen "subsidiär gegenüber Bundesmaßnahmen" eingreifen sollten, ging es doch bei der Herstellung der staatlichen Einheit aus bayerischer Sicht vorrangig um "nationale Maßnahmen zur Bewältigung der Kriegsfolgelast, für die die Finanzverantwortung beim Bund" lag. Deswegen sollten Investitionen grundsätzlich dem Bund vorbehalten bleiben, Landesmaßnahmen sich hingegen auf die Partnerregionen Sachsen und Thüringen konzentrieren und vorrangig Beratung sowie Expertenaustausch umfassen.

Auf dieser Grundlage beschloss der Bayerische Ministerrat am 20. Februar eine engere wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit der DDR und stellte für die Zeit nach den ersten freien Wahlen ein Gesamtkonzept für Hilfsmaßnahmen zum Aufbau dezentraler Verwaltungsstrukturen in einem föderativen und rechtsstaatlichen Rahmen in Aussicht.

Die Staatsregierung machte dabei deutlich, dass wirksame Hilfen verschiedene Grundentscheidungen der DDR voraussetzte, etwa die Wiederherstellung der Länder, eine rechtsstaatliche Verfassung mit unabhängiger Gerichtsbarkeit und eigener Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die kommunale Selbstverwaltung. Sie bestätigte, dass sich die Verwaltungshilfe bis zur Bildung rechtsstaatlich organisierter Länder auf die "Befriedigung von Informationswünschen" über das bayerische Rechts- und Verwaltungssystem beschränken werde und machte den Grad der künftigen Verwaltungshilfe unmissverständlich von der Übernahme der bayerischen Rechtsordnung und Verwaltungsstruktur abhängig: "Fallen die Grundentscheidungen zugunsten eines anderen Rechts- und Verwaltungssystems, muss die Hilfe zwangsläufig weit bescheidener ausfallen: Know how lässt sich nur auf Gebieten vermitteln, auf den eigenes Know how vorhanden ist!". Alle Hilfen sollten in ein Gesamtkonzept eingefasst und "möglichst nicht durch Aktivitäten anderer Länder oder des Bundes unterlaufen werden oder konterkariert" werden.

Unter diesen Voraussetzungen sah man Möglichkeiten einer effektiven Hilfestellung unter anderem bei der Ausarbeitung der Landesverfassungen und von Übernahme-und Übergangsregelungen für Bundesrecht sowie neuem Landesrecht.

Vorrangig sollten verfassungsrechtliche Grundlagen geschaffen und Verfassungsorgane konstituiert werden, um die Länder schnell handlungsfähig zu machen. Danach sollten mit bayerischer Unterstützung, Ministerien eingerichtet und die Rechtsangleichung vollzogen werden.

Einen Schwerpunkt sah der Ministerrat in der Bildung effizienter Verwaltungs-, Kommunal- und Gerichtsstrukturen. Hierzu sollten umfangreiche Vorarbeiten für die Regelung räumlicher und funktioneller Zuständigkeiten geleistet und für den Verwaltungsaufbau Entscheidungsgrundlagen für eine Festlegung der Verwaltungsebenen (mit oder ohne Mittelinstanz), die zweckmäßige räumliche Gliederung und die Arten der zu schaffenden staatlichen Behörden (Bündelungsbehörden, Sonderbehörden) erarbeitet werden.

Unterstützen wollte man auch die Erarbeitung einer Kommunalverfassung. Beim Schwerpunkt "Einrichtung von Behörden und Gerichten" war auch an Hilfen bei der bürotechnischen Ausstattung gedacht. Schon jetzt zeichnete sich zudem die Notwendigkeit ab, eine größere Zahl bayerischer Beamter für eine Übergangszeit nach Thüringen und Sachsen zu delegieren.

Der erfolgreiche Aufbau einer demokratischen Verwaltungsstruktur hing aus bayerischer Sicht entscheidend davon ab, ob es gelingen würde, qualifiziertes Personal für eine Tätigkeit in Sachsen und Thüringen zu gewinnen. Gedacht wurde an Beratungsstäbe auf Ministerialebene, eine Beratung von Führungskräften in wichtigen Vollzugsbehörden wie Bezirksregierung und Landratsämtern sowie die provisorische Übernahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch bayerische Verwaltungsgerichte.

Mittel- und langfristig hielt man es jedoch für dringend geboten, eigenes Verwaltungspersonal in den neuen Ländern auszubilden. Da der umfangreiche Hilfskatalog erhebliche Haushaltsmittel voraussetzte, stellte der Bayerische Landtag 50 Millionen DM sowie 100 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für die Verbesserung der Beziehungen mit der DDR ein.

Auf Vorschlag der Staatsregierung hatte er bereits 5 Millionen DM für dringende Sofortmaßnahmen freigegeben, die noch vor dem 18. März wirksam werden sollten. Mit dem dadurch verfügbaren Finanzrahmen sah man den Zeitraum bis zu den Wahlen in der DDR als ausreichend abgedeckt und zugleich "bei der Auswahl der Maßnahmen gewährleistet, dass sich nicht die ,alten Machtstrukturen' einer Unterstützung durch den Freistaat Bayern rühmen könnten".

Die Bayerische Staatsregierung hatte sich bei ihren Kontakten zu offiziellen Stellen stets auf das Notwendigste beschränkt (im Gegensatz zu einem den Sachsen ebenfalls nahe stehenden Bundesland) und sich stets für die neuen politischen Kräfte stark gemacht, auch wenn - so der spätere "Botschafter" Bayerns im sich herausbildenden Sachsen, Manfred Kolbe - "man in München manchmal befürchtete, aufs falsche Pferd zu setzen".

Ausgehend von meinen persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, auf die Bayern war immer Verlass. Und in dieser Zusammenarbeit liegt unsere Stärke. Diese Stärke aufgedeckt und in komprimierter Form wieder ins Bewusstsein gerückt zu haben, ist eines der Verdienste der vorliegenden Publikation, die man nur ungern beiseite legt, wenn man einmal mit dem Lesen begonnen hat.

Dabei fällt bei aller Fülle an historischen Details bereits auf den ersten Seiten ins Auge, dass es sich nicht um eine Forschungsarbeit von Historikern für Historiker handelt.

Es ist eine Einladung an alle Geschichtsinteressierten, sich in der Galerie gemeinsamer Traditionen einmal selbst auf die Spurensuche zu begeben und mit der Vergangenheit für die Zukunft leben zu lernen.

Lohnend ist das allemal, da hier auf konzentriertem Raum scheinbar weit auseinander liegendes zusammengeführt wurde und Altvertrautes neben Neu- oder Wiederentdecktem zur Darstellung kommt.

Ich wünsche mir, dass recht viele Leser und Betrachter Zugang zu diesem Buch finden mögen und angesichts des bereits Erreichten Ermutigung für die vor uns liegenden Herausforderungen schöpfen werden.

"Denn nur aus den noch lebendigen Wurzeln der Vergangenheit kann die Zukunft kräftig erblühen. Wehe dem Volke, das mit seiner Vorzeit gebrochen hat; es hat auch keine Nachwelt zu erwarten."

Diese Worte des Prinzen Johann und späteren Königs von Sachsen möchte ich Ihnen aus Anlass dieser Buchpräsentation, verbunden mit einem Dank an alle an dieser wertvollen Edition Beteiligten, von hier aus mit auf den Weg geben.

 

 

 
 

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