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Erinnerungen
an das Kunst- und Musikleben Dresdens
Dresden
als Kulturstadt von überregionaler Stellung besitzt erhebliche Bedeutung
für die kulturelle Entwicklung Deutschlands und Europas insgesamt. Daher
ist es für unseren Zusammenhang von Interesse, sich die Erinnerungen eines
Zeugen ins Gedächtnis zu rufen, der noch das Königreich Sachsen, den Freistaat
Sachsen zwischen den beiden Weltkriegen und schließlich das NS-Regime
persönlich erlebte. Bei diesem Vertreter des Hauses Wettin-Albertinische
Linie handelt es sich um Prinz Friedrich Christian von Sachsen Herzog
zu Sachsen Markgraf von Meißen (l 893 - 1968). Seine Erinnerungen betreffen
vorzugsweise das Musikleben, das seit dem Beginn der Neuzeit untrennbar
mit dem wettinischen Hof verbunden war.
Besonders beeindruckten den Prinzen Friedrich Christian von Sachsen die
kirchenmusikalischen Darbietungen in der Dresdner Hofkirche an den hohen
Festtagen des katholischen Kirchenjahres. Zur Tradition dieses Gotteshauses
gehörte es, am Fronleichnamsfest die Krönungsmesse in C-Dur von Wolfgang
Amadeus Mozart aufzuführen. Sie wurde einst nach dem Abschluß des österreichischen
Erbfolgekrieges (18. Jh.) im Auftrag des Fürstbischofs von Salzburg wahrscheinlich
aus Anlaß der Krönung der Gnadenmutter von Maria Plain komponiert, schrieb
man doch der Mutter Gottes die glückliche Rettung der Stadt an der Salzach
zu. Dazu bemerkt Prinz Friedrich Christian von Sachsen:
"In der auf einer das ganze Umland beherrschenden Höhe liegenden Salzburger
Wallfahrtskirche hörte ich vor einigen Jahren eine Aufführung der Krönungsmesse
durch das Orchester des Mozarteums unter Bernhard Paumgartners Leitung.
Die innige Beziehung dieser frühbarocken Kirche zu Mozart und zu seiner
Krönungsmesse gab der musischen Veranstaltung eine bedeutsame kunsthistorische
Note. Am Altar und vor dem gekrönten Gnadenbild brannten Lichter und der
Wallfahrtspriester verrichtete vor und nach der Aufführung Gebete zu Maria,
der Königin dieser Kirche und der ihr zu Ehren komponierten Messe. Die
Mittel für dieses religiös-künstlerische Erlebnis verdankten wir drei
Hamburger Familien evangelischen Glaubens, die sich unseren Dankes-bezeugungen
dadurch entzogen, daß sie sich ganz im Hintergrund hielten. Es war eine
eindrucksvolle gute Auffuhrung. Man spürte aber, daß sich das bekannte,
eher noch junge Salzburger Orchester wohl meist aus schlichten, einschichtigen,
bäuerlichen oder städtischen Kreisen rekrutierte, dazu bei allem ehrlichen
Bestreben rein, korrekt und mit Empfinden zu spielen, fehlte im Vergleich
zu Dresden im Tempo der Schwung und dazu vermißte man jene feinen Nuancen,
die einem Orchester mit großer Tradition, berühmten, alten Instrumenten
und erstklassigen Interpreten zu eigen sind. Wie konnte ich Herbert von
Karajan verstehen, der das jetzige Dresdner Orchester, das er in Salzburg
dirigierte, gar nicht genug loben konnte. Ob ich wollte oder nicht: Ich
mußte immer wieder an die Aufführung der Krönungsmesse in Dresden denken."
Besondere Bedeutung für die Musikpflege in der katholischen Hofkirche
zu Dresden besaß auch das 19. Jh. Noch bis in die Gegenwart wird in regelmäßigen
Abständen die As-Dur-Messe von Karl Gottlieb Reißiger aufgeführt. Über
diese eindrucksvolle Komposition Dresdner Hofmusik besitzen wir aus der
Feder von Prinz Friedrich Christian folgenden Bericht:
"Diese As-Dur-Messe hat etwas ungemein Anheimelndes und Wohltuendes.
So ist das Credo ein Sprechgesang, der von Violinen in getragenem Tempo
begleitet wird, die ein unvergleichlich schönes Thema spielen, das dem
epischen Text eine belebende Note gibt. Oft und oft habe ich es früher
auf meiner Geige gespielt, nach den Noten eines Werkes: Musik am sächsischen
Hofe, eine Art von Compendium der Opera des goldenen und silbernen Zeitalters
Dresdens in der 1. und 2. Hälfte des 18. Jh. Diese Musik Reißigers in
der As-Dur-Messe war nicht nur herzerwärmend, sondern stimmte ganz besonders
zum Gebet. Hatte man sie vernommen, so verließ man die ehrwürdige Kirche
als irgendwie anderer. Von Reißiger sagt man, daß er eine Atmosphäre von
Liebe und Güte um sich verbreitete, die allen, die ihm begegneten, wohltat.
Diese friedvolle Nächstenliebe, die aus der Vereinigung mit dem Allerhöchsten
hervorgeht, war fast allen Romantikern zueigen. Sie ist es, die diesem
uns heute ferner stehenden Zeitalter ein charakteristisches Gepräge gab.
Es gibt heute manche Menschen, die meinen, daß auf unsere gewalttätige
und kriegerische Zeit eine solche der Besinnung und Nächstenliebe folgen
wird. Für ganz ausgeschlossen erscheint dies nicht; es werden aber wohl
noch lange Perioden der Menschheitsgeschichte vergehen, bis sich das Extrem
auf jene Mitte einstellen wird, die eine Voraussetzung für eine solche
Zeit ist, welche die Weisen der Antike schon so gepriesen haben."
Sehr feierlich waren auch die Totengottesdienste aus Anlaß des Ablebens
eines Königs oder eines Mitgliedes der königlichen Familie. Besonders
erinnerte sich Prinz Friedrich Christian an den Tod seines Großvaters,
König Georg von Sachsen, 1904 im Lustschloß Pillnitz bei Dresden, wozu
wir seinen Lebenserinnerungen die folgende Schilderung entnehmen können:
"Als er (König Georg) wie ein Soldat gestorben war, wurde sein Sarg
auf der Haupttreppe zum kleinen Eibhafen des Wasserpalais herabgetragen.
Dabei ertönte ein Wirbel herabgeschraubter Trommeln und dort stand ein
Dampfer, welcher den königlichen Sarg bis ans Terrassenufer in Dresden
brachte. Auf den steinernen Dämmen beiderseits des Stromes standen oder
knieten sächsische Landsleute, um von ihrem König Abschied zu nehmen.
Nachdem am Dresdner Eibufer der Sarg auf eine Lafette gestellt war, setzte
sich der Trauerzug langsam zum Portal der Hofkirche hin in Bewegung. Dabei
ertönten die Glocken der Stadt, aus denen der tiefe Baß der ehrwürdigen
Hofkirchenglocken deutlich herausklang. Einige Tage nach der nächtlichen
Überfuhrung erfolgte die feierliche Beisetzung. Die Kirche war ganz schwarz
verhangen. Um den nun geschlossenen Sarg stand der höfische und militärische
Ehrendienst. Neben ihm und vor ihm hatten die Fürsten Platz genommen.
Wir befanden uns oben in unserer Loge hoch über dem Hochaltar.
Es ertönte, wie schon oft bei solchen Anlässen, das Requiem von Luigi
Cherubini in c-moll, eine Offenbarung klassischen Geistes, wenn auch viel
später im 19. Jh. entstanden. Unvergeßlich immer wieder die Einleitung
zum Dies irae: Eine Posaunenfanfare, die in einem Beckenschlag ausklingt.
Man ahnt die Furchtbarkeiten des letzten Gerichts. Ein Stück Romantik
in dem sonst klassischen Opus. Nach dem Agnus Dei sank der Sarg allmählich
in die Tiefe der Gruft. Die Versenkung schloß sich. Auch eine geschichtliche
Epoche war damit ins Grab gesunken, die vom zähen Widerstand gegen alle
gefährlichen Neuerungen gekennzeichnet war, die am Erprobten, auch wenn
es nicht mehr zeitgemäß schien, treu festhielt."
Auch die klassische Musik wurde am Dresdner Hof in liebevoller Weise gepflegt.
Das galt in erster Linie für das musikalische Lebenswerk von Ludwig van
Beethoven, dem Friedrich Christian die folgenden Zeilen widmete:
"So gab es für uns Kinder nur einen im Wunderland der Musik, den wir
den Göttlichen nannten: Ludwig van Beethoven. Seine unvergleichlichen
Sonaten erklangen so oft auf dem Flügel meines Großvaters im großen Saal
des Wasserpalais in Pillnitz, die uns ein böhmischer Musiker wunderbar
vorspielte und kommentierte. Er sah aus wie Franz Schubert und verbreitete
eine Atmosphäre von musischer Innigkeit und Herzenszartheit, so daß uns
diese Stunden unvergeßlich blieben. Wir lebten damals wie in einer ganz
anderen Welt. Auch führte er uns in des Meisters Symphonien ein. Der musikalisch
veranlagte Teil der Familie schärfte uns ein, daß es sich nicht gehöre,
die Symphonien Beethovens nach ihrer Nummer zu benennen, sondern nach
ihrer Tonart. So gab es nur eine c-moll - nie eine 5. Symphonie. Das größte
Erlebnis der klassischen Musik am Hof von Dresden war die alljährliche
Aufführung der d-moll-Symphonie mit dem Schlußchor 'An die Freude' am
Palmsonntag. In diesem Zusammenhang möchte ich berichten, welche hohen
Anforderungen unsere liebe ältere Generation an die Aufführung dieses
berühmten Schlußsatzes stellte. Als einst die wohl großartigste Stelle
'und der Cherub stand vor Gott' von einem zwar gewissenhaften, aber nicht
besonders schwungvollen Kapellmeister dirigiert wurde, bemerkte unsere
Tante Mathilde, ohne irgendwie ihre Stimme zu dämpfen: 'Dieser Cherub
saß vor Gott'."
Neben der Musik wurde auch die Literatur am Dresdner Hof, besonders die
Weimarer Klassiker Goethe und Schiller, hoch eingeschätzt und bewertet.
Dazu äußert sich Markgraf Friedrich Christian wie folgt:
"Ganze große Passagen ihrer Werke kannte man auswendig und bemühte
sich, diese auch gut zu kommentieren. So kannte ich eine schon betagte
Dame des Sächsischen Adels, die den ganzen ersten Teil des Faust in ihrem
Gedächtnis festgehalten und die überdies alle seine Kommentare gründlich
studiert hatte. Wir Kinder erfuhren noch viel Persönliches von Johann
Wolfgang von Goethe, denn der Gatte unserer Hofmeisterin war im Hofdienst
des Großherzogs Karl Alexander von Weimar gestanden. Dieser Fürst hatte
Goethe noch gut gekannt und viel Interessantes aus seiner Umgebung von
ihm erzählt. So fiel auf uns ein letzter Strahl von der Sonne, die einst
das Goldene Zeitalter von Weimar beschien."
Desgleichen erwies sich auch die Romantik insofern als ein Höhepunkt der
kulturellen Entwicklung, als sie die naturgesetzliche Ganzheit des Menschen,
der Gemeinschaft und der Kultur betonte und sich gegen die rationalistisch-individualistische
Geschichtsauffassung wandte. Alles das waren Momente, die die vertikale,
religiöse Schau förderten, also in dieser Hinsicht ganz den Idealen des
Hofes entsprachen. Wörtlich schreibt Prinz Friedrich Christian weiter:
"Auch die große Heimatliebe der Romantiker wurde am Hofe von Dresden
als ein positiver Zug gewertet. Aus diesem Grunde waren auch die Bilder
von romantischen Malern in den Reihen der königlichen Familie sehr beliebt.
Das galt besonders für die Werke von Ludwig Richter und Schnorr von Carolsfeld.
Beide standen hoch im Kurs in Dresden und mein Urgroßonkel, König Friedrich
August II. von Sachsen, erwarb viele Werke dieser beiden Künstler und
vieler anderer aus dieser Kunstrichtung für seine Kupferstich- und Handzeichnungssammlung
hinzu. Diese wurde dann später durch den Bruder meines Vaters Johann Georg
eine der vollständigsten Privatsammlungen der romantischen Richtung in
Europa. Wie oft bereitete unser Onkel Johann Georg gerade die Zeichnungen
der Romantiker vor uns in seiner stimmungsvollen Bibliothek aus. Eines
Tages zeigte er uns ein Blatt von Ludwig Richter, auf dem ein reizendes
Mädchen zu sehen war, das Gänse hütete - eine Gänseliesl, wie man im sächsischen
Volksmunde zu sagen pflegte. Könnt ihr erkennen, wer das ist? frug uns
der Onkel. Sie kommt uns ganz wie eine der Unseren vor , entgegneten wir
ihm. Es ist doch meine Schwester, Maria Josefa, Eure Tante. Wie Sie wissen,
heiratete sie den Erzherzog Otto von Osterreich, und sie war die Großmutter
des jetzigen Chefs des Hauses Habsburg, Erzherzog Otto von Osterreich.
Auch die romantische Musik erfreute sich großer Beliebtheit an unserem
Hof. Robert Schumanns a-moll-Klavierkonzert erklang auf Wunsch unserer
Könige in allen Symphoniekonzerten, jenes gemütsvoll, feinsinnige Werk,
das der aus Zwickau stammende Komponist einst als junger Ehemann schuf
und aus dem der ganze Zauber unserer Heimat und das Glück über die Ehe
mit der reizenden Clara Wieck spricht."
Neben Robert Schumann standen auch die Werke von Carl Maria von Weber
und von Richard Wagner am Dresdner Hof hoch im Kurs. Im Rahmen der Höfischen
Musikpflege besaß vor allem die Dresdner Hofoper erhebliche Bedeutung.
In ihr wurden in erster Linie Werke heimischer Komponisten, daneben auch
italienischer Meister gepflegt. So wurde für Dresden besonders die Oper
"Tannhäuser" von Richard Wagner wichtig. Dieses bedeutende Werk erlebte
1845 in Dresden seine Uraufführung und erschien von da an regelmäßig im
Repertoire der Hofoper. Es ist nur natürlich, daß sich auch Prinz Friedrich
Christian von Sachsen als großer Freund und Anhänger Richard Wagners mit
dessen Lebenswerk in seinen Erinnerungen ausführlich beschäftigte. Die
Dresdner Hofoper und die ihre Tradition bis in die Gegenwart fortsetzende
Staatsoper brachten noch viele wichtige Eindrücke und Höhepunkte, die
Markgraf Friedrich Christian von Meißen persönlich miterleben durfte.
In diesem Zusammenhang soll an die beachtliche Reihe der Ur- und Erstaufführungen
von Opern des Münchner Musikers und Komponisten Richard Strauss erinnert
werden. Wie bekannt, bestand zwischen Strauss und Friedrich Christian
eine persönliche Freundschaft, wie mir dessen Schwiegertochter Alice Strauss
bei einem Besuch in ihrer historischen Villa in Garmisch-Partenkirchen
bestätigte.
Dieses Erbe meines Vaters, Prinz Friedrich Christian von Sachsen, im neuzeitlichen
Gewand fortzusetzen, ist eine Aufgabe, die wir seit 8. Oktober 1990 mit
den "WACHWITZER GESPRÄCHEN" in seinem Sinne fortsetzen wollen.
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